Freitag, 10. Juli 2015

He ho, spann den Wagen an !

( meine Idee, erst die Musik am Ende des Posts anklicken, dann lesen)
Jedes Jahr um diese Zeit, wenn ich die die reifenden Felder mit den Mohn- und Kornblumen sehe, fallen mir Geschichten ein, aus Kindheit und lange Vergessenem.

 Sie handeln von kindlicher Phantasie und Realität.


Und von meiner Oma.

 Manchmal durfte ich ein paar Tage bei meiner Oma sein. Ein Zimmer, eine Küche , in einer geteilten Wohnung im ersten Stock. Alles einfach, ein gemauerter Holzherd in der Küche, natürlich nur kaltes Wasser,  das Klo in der Waschküche.  Ländlich. 
Das Krähen der Hähne holte mich am Morgen aus dem Schlaf und sagte mir schon im Traum, daß ich in Sicherheit sei
Die Oma war eine komische Frau, komisch nicht im Sinne von lustig, aber das war mir egal, hier war ich einzig. 


Durch all die Ablehnung und Launenhaftigkeit, ich wusste, daß die Oma mich mochte. Mich.  
Oma war wechselwarm, unberechenbar. Konnte an einem Tag lustig, herzlich, großzügig, liebevoll sein. War am nächsten Tag verschlossen, abgewandt und jähzornig. 

Ohne Grund.

Aber. Ich durfte dort viel. Kaffeetrinken aus Blechbechern, Fernsehen, ( schon Anfang der 60er) und im nahen Waldstück allein herumstromern. 

Der Hausgarten, am Hang gelegen, voller Beeren und Gemüse. Die weiße Wäsche auf Leinen geklammert und mit Bohnenstangen in den Himmel gehoben, flatterte dort wie duftende Zelte. Ich aß zu viele rohe Bohnen und spielte mit der aufgehängten Wäsche Verstecken, bis diese voller Abdrücke von Kinderhänden, nochmal gewaschen werden musste. 

 Ein kleines bergiges Waldstück, am Ende des Gartens, war schnell durchlaufen. 




Dort begannen die Felder. Noch nicht durch Flurbereinigung in große, monotone Flecken verwandelt, sondern kleinteilig, von Hecken und Himbeergebüschen gesäumt und voller summendem Leben. 


Von dort konnte man auf die Bückeberge sehen, für mich gleichbedeutend mit weit, weit weg.

Das Getreide auf diesen Feldern stand hoch. 


Verbotenerweise ging ich darin spazieren.



Und weil das Getreide ebenso groß war, wie ich, mit meinen vielleicht 7 oder 8 Jahren, konnte ich nur den Boden und den Himmel sehen. 


Ein wogendes Labyrinth. Und ich glaubte, in diesen, weit entfernt liegenden Bückebergen, gäbe es vielleicht doch ein Märchenland. Vielleicht.

Fünfzig Jahre ist das her.

Später in den 70er Jahren, als ich erwachsen wurde, sah ich, daß die Kornblumen verschwunden waren, und mir das Getreide höchstens bis zur Hüfte reichte. 

Ich glaubte, die Erinnerung habe mich auf geheimnisvoll, kindliche Weise getäuscht.
Daß in der Zwischenzeit die Technisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft, mit allen negativen Begleiterscheinungen ( Halmverkürzer, Pestizide), für das Verschwinden meiner hoch wogenden Kindheitsfelder gesorgt hatte, war mir nicht klar.



 Seit einigen Jahren sind sie wieder da. 

Die Kornblumen, die Mohnblumen. Sogar Kornfelder habe ich schon gesehen, die mir so hoch reichten, daß, versetzte ich mich zurück in meine Kindheitswahrnehmung, nur noch Boden und Himmel sehen könnte.


Also doch.  

Gestern war ich nochmal dort, in meinem Märchenland.

Radierung : Heinrich Vogeler

Die Bückeberge sind noch da und die Felder. Die alte Mühle, die damals fast bis auf die Grundmauern abgebrannt war, und die mir immer ein bisschen Angst gemacht hat, ist wieder aufgebaut. 


Mit Hund und Kamera bin ich auf den Hügel gekraxelt, habe eine Weile auf das stolze, kleine, nur wenig modernisierte Städtchen heruntergesehen.

Das Krähen der Hähne ist bis auf den Hügel zu hören. 
Ich bin in Sicherheit. Ich hatte recht.

Eine Entdeckung !

und dies auch .....

7 Kommentare:

  1. Liebe Gitta,
    die Musik konnte ich mir leider nicht anhören (werde ich nachholen), aber ich habe jedes Wort und jedes Bild genossen. Meine Erinnerungen sind ganz ähnlich, besonders auch an die Felder und die Blumen, die ich jetzt ebenfalls wiedergefunden habe.
    Ich bin ein Landkind, verbrachte aber meine Ferien bei Oma in der Stadt. Ich habe meine Oma sehr geliebt, aber irgendwie fühlte ich mich dort immer ein wenig eingesperrt, weil ich die Weite vermisste, die ich zu Hause hatte.
    Ein lieber Gruß zu dir
    Regina

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  2. wunderschöne Sommerfotos,
    traumhafte Kindheitserinnerungen werden wach,
    Bilder die wir sehr gerne mit Sommer verbinden und deshalb suchen.

    herzliche Grüße,
    e.b.

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  3. Dieser Klangteppich der Musik hüllt einen ein wie ein wogendes Sommerfeld. Macht mich melancholisch. auch, weil Deine Worte mich sofort an meine Kindheit bei meinen Großeltern erinnert haben. Jedes Jahr in den Sommerferien waren wir da. Haben ebenfalls grüne Bohnen gegessen (komisch, dass wir das alle überlebt haben, sind doch ach so giftig) Haben geholfen einzuwecken, Marmelade zu kochen. Es gab Hühner und ein Schwein im Stall. Da kam der Bäcker mit seinem Wagen und frischem Brot vorbei und jemand mit einer lauten Maschine, der das Holz für den Winter klein gemacht hat. Da sind eine Menge Erinnerungen, die gut verstaut aber immer griffbereit sind. Und ich versuche, sie ein wenig in meinem Garten mit unterzubringen :-)
    Danke für die wunderbaren Sommerfotos und den Kick zurück in die Kindheit.
    LG Christiane
    die Gruppe gefällt mir, kannte ich überhaupt nicht ...

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  4. Habe ich mit großer Freude gelesen.
    Die Korn- und Mohnblumenfelder erinnern mich auch an meine Kindheit. In hiesigen Gefilden sind sie kaum zu finden, eher im Norden und damit bringen sie mir vergangene Urlaube zurück.
    Liebe Grüße und schönes Wochenende

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  5. Was für ein schöner Bericht, geschmückt mit einzigartig, schönsten Fotos.
    Ich " musste " in den Ferien auch zu meiner Oma. Nicht immer wollte ich, aber es war dann immer schön.
    Sie hatte eine Speisekammer mit einem Gazeschrank und immer so gegen 10 Uhr gab es ein zweites Frühstück, mit leckerem Eingemachten aus dem Gazeschrank...
    Herzliche Grüße,
    Angela

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  6. Wunderbar präsent hast Du von Deiner Oma- Kindheit erzählt. Wie wunderbar selbstbewusst Du in die Kamera guckst, die Oma neben Dir, die Dich berührt, aber eher lässig, so selbstverständlich zusammengehörig und mit gleichzeitiger Distanz. Sicher. Das ist das große Geschenk einer " gelungenen" Kindheit, finde ich. Sich sicher fühlen. Heißt: geliebt, richtig, letztlich berechenbar und selbst-verständlich.
    Die Kornbilder sind wunderschön.
    Ich grüße Dich ganz herzlich!
    Lisa

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  7. So schön :-) Auch wenn meine Siedlungs-Kindererlebnisse eher aus Anfang der 70er stammen, so konnte ich zumindest am Feldrand noch den Anblick von etwas Mohn & Kornblumen genießen und durch das nahegelegene Wäldchen stromern.
    Nur nach 40 Jahren hat sich das Umfeld leider sehr extrem verändert: Den Weg durch die Felder gibt es zwar immer noch, aber der Feldrand ist trostlos und der Weg führt zu einem Neubaugebiet, das immer näher an die Siedlung rückt. Das Wäldchen steht zwar unter Naturschutz, ist aber viel aufgeräumter und organisierter als früher. Und der Weg dorthin durch die Siedlung ist inzwischen so akurat und gleichförmig - das war früher viel mehr Erlebnis mit bunten Blumen, die sich vor den dichten Gartenhecken austobten …
    Schön, dass es um die Bückeberge herum wieder so viel mehr Natur gibt :-)
    LG Silke

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