Freitag, 2. Oktober 2015

Mutti goes to Gdansk -- ein roadmovie

Jetzt bin ich wieder zu Haus. Eigentlich ja schon seit vorvorgestern Abend, aber ich brauchte noch einen Tag Internetpause.


 
Ja, wie wars? Auf jeden Fall spannend aufregend und .... na ja, lest mal selbst. 

Am Samstagmittag fahre ich mit meinem gut gepackten Köfferchen und netter Ferienlaune los. 3 bis 4 freie Tage liegen vor mir, in einer neuen Stadt, mit Bummeln, Kaffeetrinken, Osteeluft. Und ich sehe nach 8 Wochen meine Tochter und ihren Freund wieder. Ich freu mich.

Schon in Neustadt geht es los. Der angekündigte Vorortzug kommt nicht. Bauarbeiten. Verzögerung mehr als 1 Stunde. So lässt sich kein Anschlusszug kriegen, also den geduldigen Gatten zurückgerufen, der mich nach Hannover karrt.
Gut.
Hier steht mein ICE nach Berlin. Der ist schick, bequem und ich habe einen reservierten Platz. Alles paletti. 
In Berlin 5 Minuten Verspätung, Ankunft am Hauptbahnhof.
Alles voller Menschen, Wusel, Musik, Gerenne , aber tolles Wetter und ... auffallend viele sportliche Menschen auf Inlinern.
Ich, aus dem Tal der Ahnungslosen kommend, denke noch, daß es hier eigentlich ganz nett ist und nehme mir, auf den Rat meines Mannes, ein Taxi zum Ostbahnhof. 

Zum Ostbahnhof! Hätte ich gewusst. Habe ich aber nicht.   
Der Taxifahrer strahlt Hoffnung aus. Ja, das könnten wir schaffen.
In einer halben Stunde ? 
Zum Ostbahnhof. Wo bitte ist der Ostbahnhof ? Auf der Karte sah es aus, als könne man zu Fuß dorthin.
Naja:  Heute sei ja der Inline - Marathon. Da wär wohl so einiges gesperrt. 

Ist es. 

Es ist ALLES gesperrt.


Wir kreisen von Sperrung zu Sperrung. Aus meiner leichten Sorge wird unterdrückte Wut, dann Panik... Es kommt, wie es kommen muß. Der Taxifahrer, der offenbar auch aus dem Tal der Ahnungslosen kommt, entlässt mich irgendwo in Berlin in der Nähe einer S-Bahn und wünscht mir Glück.

Am Ostbahnhof angekommen ist mein Zug seit 4 Minuten weg und meine Laune auch.

Was nun. Erstmal zum Fahrkartenschalter. Nein, ich habe kein Smartphone und folglich auch keine APP. Mir wird ein abenteuerlicher Weg vorgeschlagen, denn heute führe kein Zug mehr nach Danzig. 
Von Berlin mit dem Bus nach Szezcin, dort weiter nach Poznan. Dort Aufenthalt (lächerliche 2 1/2 Stunden und dann gemütlich nach Danzig.) 
Oder: Hotelzimmer und morgen weiter. Ich entscheide mich für die Hardcore-Roadmovie-Variante und buche den Zackelkurs, denn ich hoffe nach halbwegs schlaftauglicher Nacht am Morgen dann ausgeruht anzukommen und SOFORT
die freie Zeit geniessen zu können.

Nein, ich habe immer noch keine APP.

Etliche Stunden und einige Kaffee später sitze ich in einem überraschend komfortablen Reisebus der DB (mit mir noch ein Gast) und reise gen Stettin. Da ich wegen der einbrechenden Nacht sowieso draußen keine landschaftlichen Schönheiten sehen könnte, entschließe ich mich, jetzt schon ein paar Stunden zu schlafen. 
Eine weise Entscheidung.


Gegen 22 Uhr erreichen wir Stettin, selbst im Dunkeln ist zu erahnen, daß es eine tolle Stadt ist, aber was solls, ich will ja nach Danzig.
Der angekündigte Bahnhof befindet sich nicht dort, wo er sein soll, ein betrunkener Pole möchte meinen Koffer tragen, aber ich ich folge mutig allein den Bahngleisen und finde nach Überquerung von etlichen Behelfs-Auf-und Abgängen das Gleis.

Nach nur einer Stunde Wartezeit kommt schon mein Zug, direkt aus den 70er Jahren nach Polen exportiert. Nostalgische Gefühle steigen in mir auf. Ich habe ein Abteil für mich allein und freue mich auf ein paar Stunden Schlaf. Ich knülle mein Strickzeug als Kopfkissen und schließe die Augen, als die Abteiltür geöffnet wird und zwei junge Polen einsteigen.

No.  Only english speaking. Das ist das Intro....

Na ja, egal, was werden die schon von mir wollen.  Och jo, sie wollen. Sich unterhalten, gesellig sein. Essen, trinken, lachen.

Jedesmal, wenn ich die Augen zumache, wird geknistert, mir ein Keks unter die Nase gehalten oder: Frau?  Energie-Drink? Die Beiden sind nett, intelligent, witzig. Sie beklagen, daß Polen nur landwirtschaftliche Produkte exportiert und wir amüsieren uns köstlich über die absurde Auflistung:
Potaoes, Onions, Plums ...Strawberries. Nett. Konrad hat einen deutschen Großvater und möchte gern meine Tochter kennenlernen und auch Michail erinnert sich langsam der wenigen Brocken Englisch, die er in der Schule mitbekommenhat, bevor er Sozialwissenschaften studierte und seinen Abschluss als Bewährungshelfer gemacht hat.

Aber ich bin müde, es ist halb 2 und ich muss noch bis 7 Uhr unterwegs sein. Bitte keinen Energie-Drink.

Frau ? Platz frei ?


Um kurz nach halb 2 erreicht der Zug Poszan. Schon bei geschlossener Tür ist 
ohrenbetäubender Lärm zu hören. Eine Maschinenhalle ? 
Nein, es ist die örtliche Tekkno-Freizeithölle. Die Lautstärke der erzeugten Töne ist sogar draußen kaum zu ertragen. 
Rettungswagen und Polizeiautos stehen vor dem Bunkerschuppen und transportieren durchgeknallte oder umgefallene Gäste ab. Also super Stimmung...



Im Bahnhof ist es wenigstens warm. Zwei Stunden Aufenthalt mitten in der Nacht zwischen gestrandeten Reisenden, frustrierten und betrunkenen Dissegästen, Obdachlosen...
Ich überlege kurz, ob ich mir mindestens eine Flasche Bier und eine Schachtel Zigaretten kaufe.
Alle halbe Stunde patroulliert eine Polizeistreife und transportiert alle, die ohne Koffer und obdachlos aussehend hier rumsitzen, aus dem Gebäude.

Gut, daß ich einen Koffer habe! Und kein Bier. 
Und gut, daß ich zu alt bin um bei den angetrunkenen, gefrusteten Disco-Romeos Interesse zu wecken. Und zu jung, um als hilflosen, altes Mütterchen ein Opfer des auch noch so minderbemittelten Handtaschenräubers darzustellen.

Fotografieren verbietet sich hier aus den unterschiedlichsten Gründen, wäre aber interessant gewesen (das nächste Mal als Pappkarton getarnt ).
Gegen 3 wird mir sehr, sehr kalt, meine Stimmung sinkt auf den Tiefpunkt und mein Zug hält verfrüht Einzug aufs Gleis. Der polnischen Bahn sei Dank.

In meinem Abteil sitzt ein somnolenter Pole auf meinem Platz. 
Er öffnet ein Auge, schaut verwirrt herum und schläft sofort weiter. Wir sind uns einig, wir wollen das gleiche. 
Schlafen !!! 
Wir teilen uns die 8 Sitze des Separeès, kein weiterer Gast steigt ein und so komme ich wenigstens noch zu einer kleinen, schnarchigen Mütze voll Schlaf.


Kurz nach 7 erreiche ich Danzig, das Wetter ist toll, die Kinder haben gute Laune und ich habe mein Abenteuer erstmal überstanden.


Nein, ich habe immer noch keine APP.  



Was ich von dieser Odyssee hatte ?

Das gute Gefühl, stressige Situationen aushalten zu  können und nicht gleich beim ersten Problem zusammenzubrechen. Ich will ja auch nicht jammern.

Aber das nächste Mal miete ich mich irgendwo in Berlin ein und fahre ganz erholt am nächsten Tag weiter..... 
Und ein bisschen was von Danzig erzähle ich dann mal wann anders.

9 Kommentare:

  1. Köstliche Beschreibung.........es freut mich sehr das du es geschafft hast und schöne Tage mit den Kindern hattest. Beim nächsten Mal sagst du vorher Bescheid u kannst bei mir nächtigen....immer gern!! Leider kann ich nur Anonym, mit den anderen 'Dingen' klappt es nicht, aber ich lese dich immer (TOTAL) gerne.Kreuzberger Grüße.........;o)

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  2. Wie du es so erzählst, klingt es lustig. Das war es sicher nicht die ganze Zeit! Es ist aber toll, dass wir dran teilhaben dürfen, vielen Dank!
    Liebe Grüße
    Regina

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  3. Uh, das klingt ja tatsächlich abenteuerlich. Schön, dass es dann doch geklappt und Du gut angekommen bist! Für den Fall, dass das nochmal vorkommt (und natürlich auch als geplanter Zwischenstopp) bist Du herzlich willkommen, bei uns zu übernachten - eine Matratze und ein warmes Abendessen stehen immer bereit!
    Herzliche Grüße
    Mirjam

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  4. Verrückt schön - Schön verrückt !
    LG Angela

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  5. Das hört sich an wie früher bei Interrail, macht mir fast Lust, auch mal mit der Bahn nach Polen zu fahren.... Und wenn du wieder in Berlin strandest, dann gib mir Bescheid, wir haben auf jeden Fall noch Platz. Liebe Grüße, Andreas

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  6. Hallo Gitta,
    das hört sich alles so an, als hättest Du die Reise in "vollen Zügen" genossen. ;-)
    aber das nächstemal nimmst Du die SBahn vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof, nicht wahr?
    Mein Vater sagte immer zu mir, wenn ich mit der Bahn unterwegs war, ich solle unterwegs immer schön das "Rotkäppchen" fragen. Damit hat er den freundlichen Bahnbeamten mit dem roten Käppi gemeint.
    Schön das Du wieder gesund und munter mit den beiden zurück bist.
    Weiterhin immer eine Gute Reise. Gruss Conny

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  7. Meine Güte was für ein Wahnsinn.
    Nun wohnen wir ja nicht mehr in Berlin, sonst hätte ich Dir das auch anbieten können, ein Bett meine ich.
    Wir vermissen Berlin auch nicht. Ich brauche diesen Krach nicht mehr.
    Allein nach Polen, würde ich nicht fahren wollen. Da hätte ich doch etwas Bammel.
    Hinter ist gut lachen. Aber indem Moment war es bestimmt nicht lustig.
    ... und dann wart Ihr glücklich dass Ihr Euch umarmen konntet.
    LG lykka

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  8. wow, wow, wow!!! Hinterher ist es immer unterhaltsam..... Abenteuer! Freu mich auf mehr,
    Sei herzlich gegrüßt von
    Lisa

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  9. Liebste Gitta,
    verzeih meine Nichtantwort. Aber ab jetzt bin ich wieder da und werde die Tage ausführlich bloggen. Grüß mir auch ganz lieb deinen Mann! Fühl dich feste umärmelt. Und du? Hast mir gefehlt!

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