Dienstag, 23. August 2016

Ist er Moslem oder Christ ?



Vielleicht interessiert es jemanden, wie es weitergegangen ist, mit meiner "Hilfe" für Flüchtlinge. Die ihren Anfang nahm, als ich im letzten Jahr befand, daß betroffen gucken nicht genug sei, wenn es um Flüchtlinge, angekommene , überhaupt alle geht.

 Man hatte mich zu einem kriegsverletzten, jungen Mann geschickt um dort Anfangsunterricht im Deutschen zu geben .

 Mich, ausgerechnet, mit meinem abgebrochenen Pädagogikstudium. 
 Also klebten und bastelten wir Kärtchen mit Vokabeln, und stammelten uns durch die ersten Stunden. Den ersten Ramadan habe ich mit einer gesamtfamiliären Depression verwechselt, so wenig Ahnung hatte ich, so zurückgenommen und still, so müde und blass war die Familie.

Dann ging es langsam aufwärts. Mit uns. Ich begriff, daß ich die Schuhe ausziehen muss, wenn ich den Wohnzimmerteppich betrete und daß ich niemals angebotenes Essen ablehnen darf. Die Familie begriff, daß ich nicht von der Regierung komme, daß ich keinerlei Kontrollfunktion habe, daß ich nicht reich bin und daß Familie und Beruf für Frauen in Deutschland keine Ausschließlichkeiten sind. 


Seither sind eineinhalb Jahr vergangen. Die Familie und ich, wir haben schon Einiges durch.
In Sicherheit zu sein heisst nicht, keine Konflikte zu haben. 
In Sicherheit zu sein heisst, sich mit Rollenbildern, eigenen Wünschen und Erwartungen auseinanderzusetzten und das auf dem Hintergund eines riesigen Verlustes. Dem Verlust fast aller Sicherheiten, von geliebten Menschen und von Heimat.
 Wir haben uns umschlichen, manchmal einander nicht getraut.
 Ich wollte nicht aufgeben und die Familie die Hilfe nicht verlieren.
 Sprache ist eine Barriere. Arabisch habe ich bis heute nicht gelernt. Zu schwierig sind mir die Laute, die mir, obwohl ich sie nicht verstehe, doch seltsam vertraut klingen, wenn ich bei der Familie bin. Und das beiderseitige Lernen geht ständig voran.

Und Stück für Stück haben wir uns kennengelernt.  Uns angeschaut und gemerkt, da gibt es noch etwas anderes außer Sprache, Regeln, Gesetzen.

 Das heisst Intuition, Einfühlung und gemeinsame Freude.
Das heisst beiderseitige Toleranz, Sympathie und guter Wille.

Jetzt ist es nicht mehr schlimm zu sagen," ich verstehe Dich nicht, bitte nochmal".
Die Geduld und die Sicherheit miteinander sind größer geworden. Es muss nicht immer alles sofort verstanden sein. Dann eben mit anderen Worten und Umschreibungen. 


 Die Familie, das hat sich differenziert in einzelne Personen, die unabhängig vom Zusammenhalt, eigene Geschichten haben, an deren Schnittstelle ich dabei sein darf.

 Letztendlich ist aus all dem Anfang ein Vertrauensverhältnis geworden.

 Ich bin in diesem Jahr zum Fastenbrechen eingeladen worden.
 Mein syrischer Schüler hat von seinem bisschen Asylgeld gespart und mir ein Smartphone geschenkt, weil ich nur eine alte Telefonkeule hatte, die außer telefonieren nix konnte. Jetzt habe ich Messenger und Apps und Übersetzer und alle Behördennummern, die ich immer wieder brauche. Hat Khaldoun für mich eingerichtet.

 Und gemeinsam reisen wir weiter durch die deutsche Ämter-und Behördenlandschaft, was nicht immer erbaulich ist, auch keine folkloristische Willkommensparty, sondern umstellt von Ordnern, gezogenen Nummern und endlosen telefonischen Warteschleifen.
 Auch wenn die meisten Menschen, mit denen ich in diesem Zusammenhang zu tun habe, freundlich und hilfsbereit sind. Immer noch.

Wie sagte doch der junge Mann unlängst zu mir. Du bist wie deutsche Mutter und Vater zusammen. Und Freund !


Nun ist, nach eineinhalb Jahren, der Flüchtlingsstatus anerkannt.

 Endlich !

 Nach Abschiebebescheid, dann Duldung wegen Dublin II, Hin-und Her in Emotion und Gesetzeslage.

Drei Jahre Bleiberecht.

 Drei Jahre , in denen die Familie versuchen wird, auf die Beine zu kommen. Das heisst:

  Weiter Deutsch lernen. 
 Gesund werden.
 Arbeit und Wohnung suchen. 
In ein normales Leben zurückfinden 

Und ich gehe gerne mit. Als Freundin !


Anmerkung : Dieses ist ein rein persönlicher Bericht. Er kann nicht vollständig sein, er ist subjektiv und beschreibt zwischen den Zeilen die Freude über meine Freundschaft mit der syrischen Familie. Selbstverständlich enthält er keine Aufnahmen der Familie, sondern nur meine aktuellen Spätsommerfotos. 
Übrigens :" Ist er Moslem oder Christ" ?  Das war die erste und letzte Frage eines Vermieters, der eine interessante Wohnung angeboten hat, die sehr gut für meine Leute geeignet gewesen wäre !  



8 Kommentare:

  1. Ja, berührend, ich finde sehr gut, was du tust!
    Ganz herzliche Grüße
    Regina

    AntwortenLöschen
  2. Danke dir..., so berührend erzählt, ich wünsche euch weiter viel vertrauensvolles Miteinander. Ein schönes Beispiel dafür, wie es gehen kann... Ich würde deinen Post gerne bei mir verlinken, montags sammle ich zu meinen Montags-Mandalas "Spuren des Gelingens" im Zusammenleben mit Geflüchteten und bei ihrer Integration. Lieben Gruß Ghislana

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Gitta,

    ich habe auch schon einiges erlebt, habe ein halbes Jahr ehrenamtlich und in privater Initiative entstanden Flüchtlingsklassen mit bis zu 30 Schülern unterrichtet und viele, viele Erfahrungen gesammelt. Ein Wahnsinn ist das alles! Wir Deutschen erholen uns von Generation zu Generation von den Kriegstraumata und in anderen Ländern geht das alles wieder von vorn los! Ich glaube, die größte Hilfe am Anfang ist Freundlichkeit und Lächeln. Das öffnet alle Türen.
    Vielen Dank für Deinen Bericht.

    Liebe Grüße, Deine Christiane

    AntwortenLöschen
  4. "Moslem oder Christ" sollte nicht wichtig sein.
    Ich bin mit den Moslems relativ gut vertraut weil ich einige Jahre in der Türkei gelebt habe und selbstverständlich habe ich mich bevor ich in das Land gekommen bin mit der Religion vertraut gemacht. Die Religion wird bei den Moslems so ähnlich gelebt wie hier das Christentum. Manche Regeln werden beachtet und andere Regeln nicht so. Allerdings bin ich der Meinung dass man, egal welche Religion, keine Sonderrechte haben sollte. Im Fastenmonat genügt es vollkommen den Moslems in den Flüchtlingseinrichtungen ein Lunchpaket zu geben das sie dann zu ihrer "richtigen" Zeit verzehren können. Da muss nicht unbedingt sehr spät noch mal Personal zur Essensausgabe kommen. Später im normalen Leben muß ja auch Arbeit oder Schule mit der jeweiligen Religion vereinbart werden können. Die sind da durchaus so flexibel dass sie ihre Gebete später nachholen wenn es im Augenblick nicht passt.
    Wichtig wäre mir dass sich die Flüchtlinge auf die hiesigen Bedingungen einlassen (z.B. Gleichberechtigung für Frauen und Berufstätigkeit für Frauen). Im Islam gibt es ein "Bildungsgebot" das für beide Geschlechter gleich ist.
    Alles Gute für Dich und die Flüchtlingsfamilie.
    Defne

    AntwortenLöschen
  5. ... ich ziehe meine Schuhe aus, gehe nicht unbedingt mit unbedeckten Schultern in meinen "Jungmännerkurs" (Altersschnitt 21, alle aus den 3 Top-Asylstaaten und zu 98% muslimisch), sie können jede Bildungsunterstützung von mir habe -
    und das angebotene Essen lehne ich fast immer ab. Nicht aus Bosheit oder (auch) weil ich vegetarisch lebe und nicht so picksüßes Zeug mag, sondern weil es auch in unserem Land Bräuche und Möglichkeiten gibt, die ich NICHT aufgeben werde, nicht mal für alle die wirklich entzückenden jungen Leute, die zu uns kommen.
    Das ist auch Integration, wenn man Grenzen aufzeigt, die hier selbstverständlich sind.
    Ich komme ihnen ein großes Stück entgegen, alles muss man nicht machen.
    LG
    Anika (kein blog)

    AntwortenLöschen
  6. Ein sehr berührender Bericht. Ich denke, dass der Satz 'deutsche Mutter und Vater und Freund zugleich' für vieles entschädigt hat. Ich habe Gänsehaut und feuchte Augen.
    Liebe Grüße
    Edith

    AntwortenLöschen
  7. ich finde toll was du machst..
    und ich wünsche dir weiterhin die Kraft dazu..
    liebe Grüße
    Rosi

    AntwortenLöschen